Info3, Ausgabe September 2017
Gedruckte Ausgabe
geheftet
€ 5,80
Deutschland im Wandel (09/2017)
Macht • Kultur • Identität

Im Sommer gab das Statistische Bundesamt die Ergebnisse einer neuen Erhebung bekannt, wonach 18,6 Millionen Menschen und damit 22,5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland ausländische Wurzeln haben. Wer in den Ballungsräumen lebt, ist von diesen Zahlen nicht überrascht.

Deutschland verändert sich – es ist, wie viele Regionen Europas und der Welt, Schauplatz einer zunehmenden Verschmelzung der Herkünfte – Grenzen treten zurück. Immer wieder werden angesichts der pluralistischer gewordenen Lebensweise unseres Landes Forderungen laut, es müsse so etwas wie eine deutsche Leitkultur festgelegt werden. Sofern es sich dabei um gesellschaftlich und politisch ausgehandelte Regeln handelt, deren Verbindlichkeit unterstrichen werden soll, scheint mir das sinnvoll.

Was den eigentlichen Sinn von „Kultur“ in diesem Zusammenhang angeht wäre dies aber insofern problematisch, als es eine kategoriale Vermischung von Kultur und Politik darstellen würde, bestimmte Elemente aus Kunst, Dichtung, Philosophie oder Religion politisch als verbindlich zu erklären. Das politische Leben ist unter anderem durch Rechtsgleichheit gekennzeichnet, das geistige Leben dagegen durch individuelle Freiheit. Kultur kann man deshalb weder politisch aushandeln und festlegen noch ihre verbindliche Durchsetzung erwarten, denn Kultur entsteht nur aus Kreativität und Liebe zur Sache, niemals per Verordnung. Verbindlich ist der gesetzliche Rahmen eines Landes, verbindend seine Sprache und in gewisser Weise auch seine Geschichte. Welche Elemente sich daraus und aus der Kreativität der Gegenwart als „leitend“ für das Kulturleben erweisen, bleibt der Freiheit überlassen.

In diesem Sinne – nämlich als Teil eines geschichtlich gewachsenen Angebots – ist auch das Spektrum dieser Ausgabe zu verstehen, das sich mit klassischer deutscher Kultur beschäftigt, aber auch die Auseinandersetzung mit dem Schatten deutscher Macht nicht ausspart.

Viele andere Aspekte, insbesondere die gesellschaftspolitische und die europäische Dimension der deutschen Frage, konnten diesmal nicht berücksichtigt werden – eine Fortsetzung wird sicher folgen.