Info3, Ausgabe Oktober 2019
Gedruckte Ausgabe
geheftet
€ 6,80
Echt jetzt? (10/2019)
Die Sehnsucht nach dem Authentischen

Mal Hand aufs Herz: Mögen Sie Skype? Ich für meine Person gestehe: nein, überhaupt nicht. Der praktische Nutzen solcher Einrichtungen mag unbestritten sein, zumal in Zeiten überregionaler, ja globaler Kommunikation. Verkörperte Menschen in einem Raum ziehe ich jedoch Bildern auf Bildschirmen allemal vor.

Erstaunt war ich deshalb, als mir einmal ein Gesprächspartner erklärte, zwischen der Darstellung auf dem Computer und der realen Begegnung gäbe es doch eigentlich gar keinen Unterschied: In einer Videoschaltung werde das Bild des Gegenüber gepixelt auf dem Bildschirm wahrgenommen, so wie wir bei einer „normalen“ Begegnung Bilder des Anderen über die Netzhaut wahrnehmen. Und entsprechend sei es auch kein grundsätzlicher Unterschied, ob wir Schallwellen von einem Lautsprecher oder von einem Kehlkopf empfangen – beides wird in unserem Gehör und Gehirn erst in Klang umgewandelt.

In beiden Fällen, so mein Gesprächspartner, machten wir uns ein Bild der Wirklichkeit anhand der Daten, die auf unseren Organismus einwirken. Der Unterschied sei also nur graduell, nicht grundsätzlich.

Womit wir beim Thema wären: Echt jetzt? Kein Unterschied zwischen Bildschirm und wirklicher Begegnung? Mein Gesprächspartner hatte ja in der Tat bedenkenswerte Argumente vorgebracht und konnte sich dabei auf weite Teile der modernen Philosophie und Wissenschaft berufen.

Das wäre erst einmal zu widerlegen, und zwar nicht einfach mit dem Verweis auf den Augenschein, wir alle wüssten doch, dass eine reale Begegnung irgendwie anders sei. Auch der Verweis auf die angeblich unmittelbaren Wahrnehmungen hilft hier nicht ohne weiteres, denn im Sinne des wissenschaftlichen Naturalismus sind Wahrnehmungen nur an das Gehirn weitergeleitete Reizungen unserer Sinnesorgane, also letzten Endes Selbstwahrnehmungen, nicht Ausweis von Kontakt mit etwas Wirklichem.

Wenn das stimmt, dann wissen wir immer nur von unseren eigenen Vorstellungen. So wie die kopernikanische Wende uns einst in eine Art kosmische Heimatlosigkeit brachte, versetzen uns die kritische Erkenntnistheorie und die naturalistische Wissenschaft der Neuzeit bis heute in eine gedachte Kapsel, die uns von der wahren Wirklichkeit trennt. Das hat offensichtliche Folgen bis in die Ökologie und die Klimakrise hinein und deshalb ist die Frage nach dem Echten mehr als eine theoretische Spielerei.

In der Auseinandersetzung mit dem neuzeitlichen Paradigma hat schon Rudolf Steiner in seinen philosophischen Werken maßgebliche Antworten dazu vorgelegt, insbesondere was die angebliche Subjektivität der Wahrnehmungen und des Denkens angeht. Wenn wir in unserem Titel-Schwerpunkt das Problem in Texten und Dialogen angehen, ist das Ergebnis das Gleiche: Wirklichkeit ist kein endgültiger und kein außerhalb von uns aufzufindender Status, sondern ein lebendiger Prozess, der uns Menschen als konstruktiven Teil der Wirklichkeit braucht.

Dieser Perspektivenwechsel ermöglicht dann auch echte Begegnungen, mit der Natur ebenso wie mit unseren Mitmenschen, mit Skype oder vielleicht doch besser ohne.